12 Stühle2003 verfilmte eine der
künstlerisch eigenwilligsten Filmemacherinnen der Gegenwart, die Berliner
Regisseurin Ulrike Otinger (geb. 1942), den Schelmen- und Gaunerroman "12
Stühle" der beiden sowjetischen Autoren Ilf und Petrov. Die "12
Stühle" handeln von der Kunst des Lebens und des Betrügens, eine Satire
mit Sprachwitz und Phantasie, ein Sittenroman – universell verständlich im
Kolorit der sowjetischen 20er Jahre. Alle Orte und Personen sind parodierte
Zeitgenossen (die 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts in Sowjetrussland) des
Autorengespanns. Insgesamt sieben Mal verfilmt wurde das Buch; in Russland
kennt es jedes Kind. In der ersten Verfilmung von 1938 (sie hieß "13
Stühle") spielten Hans Moser und Heinz Rühmann das ungleiche Paar von
Gauner/Schelm und Adelsmarschall.

Ostap Bender heiratet die Witwe Grizazujewa
Das Sujet des Romans entwickelt
sich auf der Suche nach einem Juwelenschatz, dem die drei Protagonisten – ein
verarmter trotteliger Adliger (Kisa Vorobjaninov), ein raffgieriger Pope und
der Kleinganove Ostap Bender - hinterher jagen. Auf dem Sterbebett beichtet die
Schwiegermutter des Ex-Adligen ihrem ungeliebten Schwiegersohn, dass sie den
Familienschmuck in einem der 12 Stühle versteckt hatte, die bei der
Durchsuchung ihres Hauses in der Kleinstadt N. konfisziert worden waren,. Auch
ihrem Beichtvater, dem Popen, traut sie das Geheimnis an… Die Jagd beginnt, und
Ostap Bender, der "große Kombinator", den Vorobjaninov zufällig
kennen lernt, nimmt die Sache in die Hand. Seine kaltschnäuzige Frechheit,
spitzbübisch charmante Schläue, unschlagbare Logik und Redegewandtheit retten
ihn und den Ex-Adligen aus scheinbar ausweglosen Situationen. Vorobjaninov und
Bender reisen kreuz und quer durchs Land. Sie erleben unglaubliche und komische
Abenteuer – an der Wolga, in Moskau und im Kaukasus. Ein Stuhl nach dem anderen
gerät in ihre Hände, bis nur noch ein einziger übrig bleibt. Und der steht im
Eisenbahnerclub einer großen Stadt…

Kisa Vorobjaninov verführt Lisa...
Ulrike Ottingers Film entstand
in der Ukraine, in und um Odessa (der Heimatstadt Ilf und Petrovs), in Wilkowo
(an der Donau) und auf der Krim. Die Regisseurin nahm sich Zeit für lange
Einstellungen, pittoreske Bilder und eindringliche Studien, vermischte die
Zeitebene der Romanvorlage mit der prallen ukrainischen Gegenwart, ließ Profis
und Laien vor die Kamera. Der Figur im Zentrum des Romans, dem liebenswert
gerissenen Gauner Ostap Bender, gab sie die Züge eines Shakespearschen Dieners
aller Herren, der überall seinen kleinen Vorteil wittert und ihn skrupellos,
charmant und gewitzt zu nutzen weiß. Die Geschichte endet tragisch - gegen die
Gesetze des Genres, sehr wohl im Sinne von Zensur und Zeitgeist.
Da ich als Assistent von
Frau Ottinger bei den Dreharbeiten dabei war, hatte ich geplant, mit Regina
Roland von der Deutschen Welle (sie hat eine Reportage gemacht) ein Making Off
zum Film zu schneiden – über die historischen Hintergründe und die
Entstehungsgeschichte des Romans, die Beweggründe Frau Ottingers, das Buch zu
verfilmen etc. Leider, leider. 3Sat strahlt zwar im Oktober 2007 die "12
Stühle" im Spätabendprogramm als Serie aus, aber an zusätzlichem Material
bestand kein Interesse.
Sehr zu empfehlen: die
Ausstellung von Frau Ottinger im Berliner Filmmuseum; die Eröffnung war am
13.09.07. Bis Ende des Jahres läuft zudem eine Retrospektive der Filmemacherin im
Berliner Kino "Arsenal".

Der Pope und die falschen 12 Stühle...
Vielen dank an Frau Ottinger für die zur Verfügung gestellten Fotos.
www.ulrikeotteinger.com
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